Sind Eier bei Histamin­intoleranz verboten?

Man findet im Internet zum Thema Histamin­intoleranz viele Lebens­mittel­listen mit erlaubten oder nicht erlaubten Lebens­mitteln. Den meisten Verbots­listen ist gemein, dass Hühner­eiweiß als Histamin­liberator eingestuft wird, Hühner­eigelb hingegen gilt in der Regel als verträglich. Wenn man aber genauer hinsieht, fällt einem auf, dass es nie einen Hinweis auf die Herkunft dieser Information gibt. Woher kommt also diese Aussage?

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Eier sind als Zutat aus vielen Gerichten nicht wegzu­denken und nur schwer durch andere Lebens­mittel ersetzbar. Jeder Deutsche isst im Durch­schnitt 239 Eier pro Jahr und für viele Menschen sind sie sogar die Haupt­quelle für Omega-3-Fettsäuren in der Ernährung. Man sollte deswegen sorgfältig abwägen, ob man sie – möglicher­weise sogar unbegründet – aus dem Ernährung­splan streicht.


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Abbildung 1: Auszug einiger Informationen von verschiedenen populären Seiten zum Thema Histamin­intoleranz und Hühnerei. Eiweiß wird häufig pauschal als Histamin­liberator eingestuft. Hühner­eiern wird außerdem oft ein hoher Histamin­gehalt attestiert.

Die meisten Listen im Internet enthalten leider keinerlei Quellen­angabe zu ihren Aussagen über Eier. Man kann deswegen weder überprüfen, ob die Informationen stimmen, noch welcher Inhalts­stoff für die histamin­freisetzende Wirkung verantwortlich sein könnte.


Ist Eiweiß wirklich ein Histamin­liberator?


Aber zurück zur eigent­lichen Frage: Ist Eiweiß ein Histamin­liberator? Bei unserer Recherche stießen wir auf die Original­quelle, auf der die Aussage über Eiweiß beruht: eine Studie aus dem Jahre 1952. Bei dieser Unter­suchung wurde Katzen, Ratten und Hunden intravenös eine Lösung gespritzt, die entweder rohes oder gekochtes Hühner­eiweiß enthielt. Durch die Injektion kam es bei Katzen und Ratten zu einer Histamin­freisetzung.


Sind diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?


Man kann die Ergebnisse aus mehreren Gründen nicht einfach auf den Menschen übertragen. Zunächst einmal ist die Darreichungs­form („intravenöse Injektion“) nicht mit dem Verzehr von Eiern vergleichbar. Hühner­eiweiß ist im Magen und im Dünn­darm Säuren und Verdauungs­enzymen ausgesetzt und wird dabei in einzelne Amino­säuren, oder Ketten aus zwei bis drei Amino­säuren zerlegt. Diese kleinen Eiweiß­bau­steine können dann durch die Darm­schleim­haut passieren und ins Blut resorbiert werden. Bei der Injektion gelangen hingegen alle Proteine, Fette und sonstigen Inhalts­stoffe unverändert direkt in die Blut­bahn.

Die Bestand­teile, die bei einem regulärem Verdauungs­vorgang ins Blut gelangen, sind also über­haupt nicht mit jenen vergleich­bar, die in den Tier­experimenten intravenös gespritzt wurden.

Zusätzlich wurde die Unter­suchung nicht am Menschen durch­geführt, sondern an Tieren. Wie man an den Resultaten sehen kann, ist die histamin­freisetzende Wirkung schon nicht einmal auf Hunde übertragbar – bei ihnen wurde kein Anstieg von Histamin beobachtet. Katzen reagierten auf rohes und gekochtes Eiweiß, Ratten hingegen nur auf rohes Eiweiß. Man kann überhaupt keine Aussage über eine histamin­freisetzende Wirkung von Eiweiß (weder für rohes, noch für gekochtes) treffen. Dazu müsste man das Experiment ganz anders aufbauen und mit menschlichen Probanden durchführen.


Wie sieht es mit dem Histamin­gehalt von Eiern aus?


Neben der vermeintlich histamin­freisetzenden Wirkung von Eiweiß, findet man auch häufig Aussagen wie „Eier enthalten viel Histamin“ und müssen gemieden werden. Deswegen haben wir uns auch angesehen, was an dieser Aussage dran ist.

Es gibt mehrere Untersuchungen, die den Histamin­gehalt oder den Gehalt an biogenen Aminen von Eiern unter­suchen. Keine einzige davon fand bei Eiern große Mengen an Histamin, auch nicht nach längerer Lager­dauer. Fakt ist: Eier enthalten nur wenige biogene Amine. Das ist auch logisch, denn Eier unter­liegen keinem mikrobiellen Reifungs­prozess, bei dem größere Mengen an Histamin gebildet werden könnten.


Was bleibt als Fazit?


Aus 70 Jahre alten Tier­experi­menten pauschale Ernährungs­empfehlungen für alle Menschen abzu­leiten, die an einer Histamin­unver­träglich­keit leiden, ist unsinnig und basiert auf keiner Grund­lage. Eine histamin­frei­setzende Wirkung von Eiern ist bis heute wissen­schaftlich nicht belegt.

Das heißt trotz allem nicht, dass Eier von jedem problem­los vertragen werden. Beschwerden könnten beispiels­weise durch eine krankhaft veränderte Durch­lässig­keit der Darm­barriere erklärt werden. Womöglich liegt sogar eine echte Nahrungs­mittel­allergie vor. Letztere kann entweder gegen Proteine aus dem Eigelb oder dem Eiklar bestehen. Dies würde z. B. erklären, warum man Eigelb verträgt, Eiklar aber nicht. Die Allergie kann isoliert gegen Hühnerei auftreten, aber auch gegen Eier von anderen Vogel­arten, z. B. Truthahn- oder Wachtel­eier.

Insgesamt verträgt nur ein geringer Prozent­satz der Betroffenen keine Eier, diese kommen leider nicht umhin, individuell für sich abzu­klären, ob sich durch das Meiden von Eiern die Beschwerden verbessern. Ein detailliertes Ernährungs­tagebuch kann dabei helfen, um herauszu­finden, ob nach dem Verzehr von Ei reproduzierbar Beschwerden auftreten. Idealer­weise erfolgt zusätzlich eine diagnostische Bestätigung durch spezialisierte Fachärzte.

Merke:
Man sollte bei solch einem komplexen Thema Informationen ohne Quellen­angabe immer kritisch betrachten! Häufig ist dies ein Zeichen dafür, dass Informationen ungeprüft irgendwo abge­schrieben wurden. Man sollte Eier nur dann vom Speise­plan streichen, wenn sie auch reproduzierbar Beschwerden aus­lösen. Viele Betroffene mit Histamin­intoleranz meiden sonst – womöglich völlig unnötig – ein wichtiges Nahrungs­mittel.


Wie kann man Histamin, Fructose & Co. benutzen?


In unserer App weisen wir auf den aktuellen Stand der Forschung mit einem ausführ­lichen Anmerkung inklusive Quellen­angaben hin. Man kann ergänzend zur Option Histamin­intoleranz ein Profil für Hühnerei konfigurieren, mit dem man alle Lebens­mittel, die Eier enthalten, farblich kenn­zeichnen kann. Mit diesem und vielen weiteren Profilen kann man die App sehr flexibel an seine individuellen Bedürf­nisse anpassen.


Histamin App
In unserer App Histamin, Fructose & Co. finden Sie wertvolle Hilfe­stellung zum Thema Ernährung bei Lebens­mittel­unverträg­lich­keiten. Erhältlich für iOS und Android.

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Quellen:
  1. https://de.statista.com/­statistik/­daten/­studie/­208591/­umfrage/­eier-nahrungsverbrauch-pro-kopf-seit-2004/
  2. M. Schachter et al., The release of histamine by egg-white in non-sensitized animals, J. Physiol. 118 (1952), 258–263
  3. B. J. Vlieg-Boerstra et al., Mastocytosis and adverse reactions to biogenic amines and histamine-releasing foods: what is the evidence?, The Netherlands Journal of Medicine 63:7 (2005), 244–249
  4. B. Ramos et al., Changes of yolk biogenic amine concentrations during storage of shell hen eggs, Food Chemistry 116 (2009), 340–344

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Natalie Rhea on Unsplash