Sind Eier bei Histaminintoleranz verboten?
24.03.22Histamin Fructose & Co.
Man findet im Internet zum Thema Histaminintoleranz viele Lebensmittellisten mit erlaubten oder nicht erlaubten Lebensmitteln. Den meisten Verbotslisten ist gemein, dass Hühnereiweiß als Histaminliberator eingestuft wird, Hühnereigelb hingegen gilt in der Regel als verträglich. Wenn man aber genauer hinsieht, fällt einem auf, dass es nie einen Hinweis auf die Herkunft dieser Information gibt. Woher kommt also diese Aussage?
Eier sind als Zutat aus vielen Gerichten nicht wegzudenken und nur schwer durch andere Lebensmittel ersetzbar. Jeder Deutsche isst im Durchschnitt 239 Eier pro Jahr und für viele Menschen sind sie sogar die Hauptquelle für Omega-3-Fettsäuren in der Ernährung. Man sollte deswegen sorgfältig abwägen, ob man sie – möglicherweise sogar unbegründet – aus dem Ernährungsplan streicht.
▲ Abbildung 1: Auszug einiger Informationen von verschiedenen populären Seiten zum Thema Histaminintoleranz und Hühnerei. Eiweiß wird häufig pauschal als Histaminliberator eingestuft. Hühnereiern wird außerdem oft ein hoher Histamingehalt attestiert.
Die meisten Listen im Internet enthalten leider keinerlei Quellenangabe zu ihren Aussagen über Eier. Man kann deswegen weder überprüfen, ob die Informationen stimmen, noch welcher Inhaltsstoff für die histaminfreisetzende Wirkung verantwortlich sein könnte.
Aber zurück zur eigentlichen Frage: Ist Eiweiß ein Histaminliberator? Bei unserer Recherche stießen wir auf die Originalquelle, auf der die Aussage über Eiweiß beruht: eine Studie aus dem Jahre 1952. Bei dieser Untersuchung wurde Katzen, Ratten und Hunden intravenös eine Lösung gespritzt, die entweder rohes oder gekochtes Hühnereiweiß enthielt. Durch die Injektion kam es bei Katzen und Ratten zu einer Histaminfreisetzung.
Man kann die Ergebnisse aus mehreren Gründen nicht einfach auf den Menschen übertragen. Zunächst einmal ist die Darreichungsform („intravenöse Injektion“) nicht mit dem Verzehr von Eiern vergleichbar. Hühnereiweiß ist im Magen und im Dünndarm Säuren und Verdauungsenzymen ausgesetzt und wird dabei in einzelne Aminosäuren, oder Ketten aus zwei bis drei Aminosäuren zerlegt. Diese kleinen Eiweißbausteine können dann durch die Darmschleimhaut passieren und ins Blut resorbiert werden. Bei der Injektion gelangen hingegen alle Proteine, Fette und sonstigen Inhaltsstoffe unverändert direkt in die Blutbahn.
Die Bestandteile, die bei einem regulärem Verdauungsvorgang ins Blut gelangen, sind also überhaupt nicht mit jenen vergleichbar, die in den Tierexperimenten intravenös gespritzt wurden.
Zusätzlich wurde die Untersuchung nicht am Menschen durchgeführt, sondern an Tieren. Wie man an den Resultaten sehen kann, ist die histaminfreisetzende Wirkung schon nicht einmal auf Hunde übertragbar – bei ihnen wurde kein Anstieg von Histamin beobachtet. Katzen reagierten auf rohes und gekochtes Eiweiß, Ratten hingegen nur auf rohes Eiweiß. Man kann überhaupt keine Aussage über eine histaminfreisetzende Wirkung von Eiweiß (weder für rohes, noch für gekochtes) treffen. Dazu müsste man das Experiment ganz anders aufbauen und mit menschlichen Probanden durchführen.
Neben der vermeintlich histaminfreisetzenden Wirkung von Eiweiß, findet man auch häufig Aussagen wie „Eier enthalten viel Histamin“ und müssen gemieden werden. Deswegen haben wir uns auch angesehen, was an dieser Aussage dran ist.
Es gibt mehrere Untersuchungen, die den Histamingehalt oder den Gehalt an biogenen Aminen von Eiern untersuchen. Keine einzige davon fand bei Eiern große Mengen an Histamin, auch nicht nach längerer Lagerdauer. Fakt ist: Eier enthalten nur wenige biogene Amine. Das ist auch logisch, denn Eier unterliegen keinem mikrobiellen Reifungsprozess, bei dem größere Mengen an Histamin gebildet werden könnten.
Aus 70 Jahre alten Tierexperimenten pauschale Ernährungsempfehlungen für alle Menschen abzuleiten, die an einer Histaminunverträglichkeit leiden, ist unsinnig und basiert auf keiner Grundlage. Eine histaminfreisetzende Wirkung von Eiern ist bis heute wissenschaftlich nicht belegt.
Das heißt trotz allem nicht, dass Eier von jedem problemlos vertragen werden. Beschwerden könnten beispielsweise durch eine krankhaft veränderte Durchlässigkeit der Darmbarriere erklärt werden. Womöglich liegt sogar eine echte Nahrungsmittelallergie vor. Letztere kann entweder gegen Proteine aus dem Eigelb oder dem Eiklar bestehen. Dies würde z. B. erklären, warum man Eigelb verträgt, Eiklar aber nicht. Die Allergie kann isoliert gegen Hühnerei auftreten, aber auch gegen Eier von anderen Vogelarten, z. B. Truthahn- oder Wachteleier.
Insgesamt verträgt nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen keine Eier, diese kommen leider nicht umhin, individuell für sich abzuklären, ob sich durch das Meiden von Eiern die Beschwerden verbessern. Ein detailliertes Ernährungstagebuch kann dabei helfen, um herauszufinden, ob nach dem Verzehr von Ei reproduzierbar Beschwerden auftreten. Idealerweise erfolgt zusätzlich eine diagnostische Bestätigung durch spezialisierte Fachärzte.
In unserer App weisen wir auf den aktuellen Stand der Forschung mit einem ausführlichen Anmerkung inklusive Quellenangaben hin. Man kann ergänzend zur Option Histaminintoleranz ein Profil für Hühnerei konfigurieren, mit dem man alle Lebensmittel, die Eier enthalten, farblich kennzeichnen kann. Mit diesem und vielen weiteren Profilen kann man die App sehr flexibel an seine individuellen Bedürfnisse anpassen.
In unserer App Histamin, Fructose & Co. finden Sie wertvolle Hilfestellung zum Thema Ernährung bei Lebensmittelunverträglichkeiten. Erhältlich für iOS und Android.
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Quellen:
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Photo by Natalie Rhea on Unsplash
Eier sind als Zutat aus vielen Gerichten nicht wegzudenken und nur schwer durch andere Lebensmittel ersetzbar. Jeder Deutsche isst im Durchschnitt 239 Eier pro Jahr und für viele Menschen sind sie sogar die Hauptquelle für Omega-3-Fettsäuren in der Ernährung. Man sollte deswegen sorgfältig abwägen, ob man sie – möglicherweise sogar unbegründet – aus dem Ernährungsplan streicht.
▲ Abbildung 1: Auszug einiger Informationen von verschiedenen populären Seiten zum Thema Histaminintoleranz und Hühnerei. Eiweiß wird häufig pauschal als Histaminliberator eingestuft. Hühnereiern wird außerdem oft ein hoher Histamingehalt attestiert.
Die meisten Listen im Internet enthalten leider keinerlei Quellenangabe zu ihren Aussagen über Eier. Man kann deswegen weder überprüfen, ob die Informationen stimmen, noch welcher Inhaltsstoff für die histaminfreisetzende Wirkung verantwortlich sein könnte.
Ist Eiweiß wirklich ein Histaminliberator?
Aber zurück zur eigentlichen Frage: Ist Eiweiß ein Histaminliberator? Bei unserer Recherche stießen wir auf die Originalquelle, auf der die Aussage über Eiweiß beruht: eine Studie aus dem Jahre 1952. Bei dieser Untersuchung wurde Katzen, Ratten und Hunden intravenös eine Lösung gespritzt, die entweder rohes oder gekochtes Hühnereiweiß enthielt. Durch die Injektion kam es bei Katzen und Ratten zu einer Histaminfreisetzung.
Sind diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?
Man kann die Ergebnisse aus mehreren Gründen nicht einfach auf den Menschen übertragen. Zunächst einmal ist die Darreichungsform („intravenöse Injektion“) nicht mit dem Verzehr von Eiern vergleichbar. Hühnereiweiß ist im Magen und im Dünndarm Säuren und Verdauungsenzymen ausgesetzt und wird dabei in einzelne Aminosäuren, oder Ketten aus zwei bis drei Aminosäuren zerlegt. Diese kleinen Eiweißbausteine können dann durch die Darmschleimhaut passieren und ins Blut resorbiert werden. Bei der Injektion gelangen hingegen alle Proteine, Fette und sonstigen Inhaltsstoffe unverändert direkt in die Blutbahn.
Die Bestandteile, die bei einem regulärem Verdauungsvorgang ins Blut gelangen, sind also überhaupt nicht mit jenen vergleichbar, die in den Tierexperimenten intravenös gespritzt wurden.
Zusätzlich wurde die Untersuchung nicht am Menschen durchgeführt, sondern an Tieren. Wie man an den Resultaten sehen kann, ist die histaminfreisetzende Wirkung schon nicht einmal auf Hunde übertragbar – bei ihnen wurde kein Anstieg von Histamin beobachtet. Katzen reagierten auf rohes und gekochtes Eiweiß, Ratten hingegen nur auf rohes Eiweiß. Man kann überhaupt keine Aussage über eine histaminfreisetzende Wirkung von Eiweiß (weder für rohes, noch für gekochtes) treffen. Dazu müsste man das Experiment ganz anders aufbauen und mit menschlichen Probanden durchführen.
Wie sieht es mit dem Histamingehalt von Eiern aus?
Neben der vermeintlich histaminfreisetzenden Wirkung von Eiweiß, findet man auch häufig Aussagen wie „Eier enthalten viel Histamin“ und müssen gemieden werden. Deswegen haben wir uns auch angesehen, was an dieser Aussage dran ist.
Es gibt mehrere Untersuchungen, die den Histamingehalt oder den Gehalt an biogenen Aminen von Eiern untersuchen. Keine einzige davon fand bei Eiern große Mengen an Histamin, auch nicht nach längerer Lagerdauer. Fakt ist: Eier enthalten nur wenige biogene Amine. Das ist auch logisch, denn Eier unterliegen keinem mikrobiellen Reifungsprozess, bei dem größere Mengen an Histamin gebildet werden könnten.
Was bleibt als Fazit?
Aus 70 Jahre alten Tierexperimenten pauschale Ernährungsempfehlungen für alle Menschen abzuleiten, die an einer Histaminunverträglichkeit leiden, ist unsinnig und basiert auf keiner Grundlage. Eine histaminfreisetzende Wirkung von Eiern ist bis heute wissenschaftlich nicht belegt.
Das heißt trotz allem nicht, dass Eier von jedem problemlos vertragen werden. Beschwerden könnten beispielsweise durch eine krankhaft veränderte Durchlässigkeit der Darmbarriere erklärt werden. Womöglich liegt sogar eine echte Nahrungsmittelallergie vor. Letztere kann entweder gegen Proteine aus dem Eigelb oder dem Eiklar bestehen. Dies würde z. B. erklären, warum man Eigelb verträgt, Eiklar aber nicht. Die Allergie kann isoliert gegen Hühnerei auftreten, aber auch gegen Eier von anderen Vogelarten, z. B. Truthahn- oder Wachteleier.
Insgesamt verträgt nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen keine Eier, diese kommen leider nicht umhin, individuell für sich abzuklären, ob sich durch das Meiden von Eiern die Beschwerden verbessern. Ein detailliertes Ernährungstagebuch kann dabei helfen, um herauszufinden, ob nach dem Verzehr von Ei reproduzierbar Beschwerden auftreten. Idealerweise erfolgt zusätzlich eine diagnostische Bestätigung durch spezialisierte Fachärzte.
Merke:
Man sollte bei solch einem komplexen Thema Informationen ohne Quellenangabe immer kritisch betrachten! Häufig ist dies ein Zeichen dafür, dass Informationen ungeprüft irgendwo abgeschrieben wurden. Man sollte Eier nur dann vom Speiseplan streichen, wenn sie auch reproduzierbar Beschwerden auslösen. Viele Betroffene mit Histaminintoleranz meiden sonst – womöglich völlig unnötig – ein wichtiges Nahrungsmittel.
Man sollte bei solch einem komplexen Thema Informationen ohne Quellenangabe immer kritisch betrachten! Häufig ist dies ein Zeichen dafür, dass Informationen ungeprüft irgendwo abgeschrieben wurden. Man sollte Eier nur dann vom Speiseplan streichen, wenn sie auch reproduzierbar Beschwerden auslösen. Viele Betroffene mit Histaminintoleranz meiden sonst – womöglich völlig unnötig – ein wichtiges Nahrungsmittel.
Wie kann man Histamin, Fructose & Co. benutzen?
In unserer App weisen wir auf den aktuellen Stand der Forschung mit einem ausführlichen Anmerkung inklusive Quellenangaben hin. Man kann ergänzend zur Option Histaminintoleranz ein Profil für Hühnerei konfigurieren, mit dem man alle Lebensmittel, die Eier enthalten, farblich kennzeichnen kann. Mit diesem und vielen weiteren Profilen kann man die App sehr flexibel an seine individuellen Bedürfnisse anpassen.
In unserer App Histamin, Fructose & Co. finden Sie wertvolle Hilfestellung zum Thema Ernährung bei Lebensmittelunverträglichkeiten. Erhältlich für iOS und Android.
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Quellen:
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/208591/umfrage/eier-nahrungsverbrauch-pro-kopf-seit-2004/
- M. Schachter et al., The release of histamine by egg-white in non-sensitized animals, J. Physiol. 118 (1952), 258–263
- B. J. Vlieg-Boerstra et al., Mastocytosis and adverse reactions to biogenic amines and histamine-releasing foods: what is the evidence?, The Netherlands Journal of Medicine 63:7 (2005), 244–249
- B. Ramos et al., Changes of yolk biogenic amine concentrations during storage of shell hen eggs, Food Chemistry 116 (2009), 340–344
Bild:
Photo by Natalie Rhea on Unsplash