Sind Kirschen wirklich das erhoffte Wunder­mittel bei Gicht?

Kirschen wird schon seit Längerem eine gesundheits­förderliche Wirkung bei Gicht nachgesagt. In zahl­reichen Foren und Blog­einträgen werden Kirsch­extrakte sogar als wahres Wunder­mittel gegen diese Erkrankung beworben. Was ist dran an diesen Ver­sprechungen?

Kirschen und Gicht


Was macht Kirschen im Hinblick auf Gicht so besonders?


Kirschen haben tatsächlich mehrere interessante Eigen­schaften, die sie für Betroffene mit Gicht interessant machen. Da Kirschen einen hohen Gehalt an Zitronen­säure enthalten, fördern sie die Aus­scheidung von Harn­säure über den Urin. Kirschen enthalten auch Vitamin C, das in hohen Konzentrationen von etwa 500 mg einen positiven Effekt auf die Erkrankung hat – allerdings ist der Vitamin-C-Gehalt in Kirschen mit nur 10 mg/100 g viel zu niedrig, um tatsächlich eine relevante Rolle zu spielen [1].

Die eigentlich interessanten Inhalts­stoffe, die Kirschen bei Gicht so wirkungs­voll machen sollen, sind die sogenannten Anthocyane. Sie sind v. a. in Sauer­kirschen in einer hohen Konzentration enthalten, man findet sie aber auch in anderen Lebens­mitteln (siehe Tabelle 1).

Lebensmittelmaximaler Anthocyangehalt
[mg/100 g]
Holunderbeeren1005
Auberginen750
Heidelbeeren515
Kirschen450
Johannisbeeren (schwarz)400
Brombeeren326
Blutorangen200
Erdbeeren50
Zwiebeln (rot)25
Johannisbeeren (rot)20
Tabelle 1: Maximaler Anthocyan­gehalt von ausgewählten Lebens­mitteln [2].


Senken Anthocyane das Risiko für Gicht-Attacken?


Anthocyane sind pflanzliche Farb­stoffe, die für eine intensive dunkel­rote, violette oder blaue Färbung sorgen. Sie gehören zur Klasse der Flavonoide, sekundären Pflanzen­stoffen, die für den Menschen eine gesundheits­förderliche Wirkung haben.

Anthocyane haben anti­oxidative Eigen­schaften und können so schädliche freie Radikale unwirksam machen. Sie wirken außerdem entzündungs­hemmend, indem sie mit den Cyclo­oxygenasen wichtige Enzyme hemmen, die beim Ablauf von Entzündungen eine große Rolle spielen. Damit haben sie in abgeschwächter Form eine ähnliche Wirkung wie viele bekannte Schmerz­mittel (z. B. Ibuprofen und Diclofenac), die häufig als erstes Mittel zur Behandlung von Gicht­anfällen zum Einsatz kommen [3].

Durch den regel­mäßigen Verzehr von Kirschen könnten deswegen zum Teil die Neben­wirkungen von Entzündungs­prozessen neutralisiert werden, die bei Gicht­kranken durch die Harnsäure­kristalle in den Sehnen und Gelenken hervor­gerufen werden [1].

Die Annahme, die sich hier aufdrängt, ist somit: Durch den Verzehr von Kirschen könnte man ohne dauer­hafte Medikation mehrere Parameter der Erkrankung Gicht positiv beeinflussen und das Risiko für schwere Gicht­attacken senken. Einer Studie zufolge wurde ein positiver Effekt bereits ab sechs Kirschen pro Tag beobachtet [3].


Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Wo ist der Haken?


Die überaus positiven Wirkungen wurden bislang nur in sehr kleinen Studien bzw. in Online­umfragen ermittelt. Hier findet leider in der Regel keine ausreichende Zufalls­zuteilung von Studien­teilnehmern statt, was eine starke Verzerrung von Ergebnissen zur Folge haben kann und kaum allgemein­gültige Schlüsse zulässt [4].

Interessanter­weise finden die extrem euphorischen Berichte auf vielen Web­seiten und Foren zur Verwendung von Kirsch­extrakten bis heute keine Berück­sichtigung in den allgemeinen Richt­linien zur Behandlung von Gicht, eben weil die Studien­lage leider noch viel zu ungenau ist [5]. Vielmehr entsteht oft sogar der Eindruck, dass die Berichte nur dazu dienen, extrem teure Nahrungs­ergänzungs­mittel mit Kirsch­extrakten an verzweifelte Betroffene zu verkaufen. Hinzu kommt, dass die Nutzer­bewertungen von Nahrungs­ergänzungs­mitteln besonders häufig gefälscht werden, um mit über­triebenen Ver­sprechungen leicht­gläubigen Käufern das Geld aus der Tasche zu ziehen [6].


Mögliche Neben­wirkungen von Kirsch­extrakten


Dabei ist die Verwendung solcher Nahrungs­ergänzungs­mittel nicht unumstritten. Hoch­dosierte Anti­oxidantien stehen sogar in der Kritik, da es eben nicht nur schädliche Radikale im Körper gibt, sondern auch nützliche Radikale, die eine wichtige Rolle bei der Zellerneuerung spielen. Auch diese werden durch die anti­oxidative Wirkung unschäd­lich gemacht. Deswegen warnt z. B. die Verbraucher­zentrale vor dem sorglosen Umgang mit hoch­dosierten Antioxidantien, da diese unter Umständen sogar eine negative Wirkung haben können [7].

Bereits jetzt gibt es erste Einzelfall­berichte, die von chronischen Nieren­erkrankungen berichten, die möglicher­weise als Folge von hoch­konzentrierten Kirsch­extrakten auftraten. Gefährdet scheinen demnach vor allem Patienten zu sein, die bereits mehrere Medikamente zur Behandlung ihrer Erkrankung einnehmen, also beispiels­weise eine durchaus gängige Kombination aus harn­treibenden Medikamenten, ACE-Hemmern und Schmerz­mitteln [3]. Hier ist besondere Vorsicht geboten, und Nahrungs­ergänzungs­mittel sollten nicht ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt eingenommen werden.


Fazit


Kirschen und insbesondere Sauer­kirschen sind ein äußerst gesunder Snack, dessen Inhalts­stoffe sich bei regel­mäßigem Verzehr möglicher­weise positiv auf den Krankheits­verlauf einer Gicht auswirken können. Vieles deutet darauf hin, dass Kirschen dabei helfen können, Gicht­attacken vorzubeugen. Ob Kirschen und vor allem teure Kirsch­extrakte allerdings ein Wunder­mittel sind, mit dessen Hilfe man die Erkrankung einfach in den Griff bekommt, muss stark bezweifelt werden – dazu ist die Studien­lage viel zu dürftig. Allerdings spricht nur wenig gegen den regel­mäßigen Verzehr von Sauer­kirschen, eingelegten Kirschen und (mit Einschränkungen, weil man sehr schnell zu viel Zucker zu sich nimmt) Kirschsaft. Diese enthalten Anthocyane und andere wertvolle Inhalts­stoffe in einer ungefährlichen Konzentration und und können bedenkenlos verzehrt werden.

Man sollte sich aber nicht von Werbe­versprechungen blenden lassen, es müssen nicht unbedingt Montmorency-Kirschen sein, die besonders eifrig beworben werden: Auch andere blaue, violette oder dunkel­rote Lebens­mittel enthalten reichlich Anthocyane, dazu zählen z. B. Brom­beeren, Heidel­beeren und Auberginen.

Man sollte allgemein sehr skeptisch gegenüber vielfach gehypten Nahrungs­ergänzungs­mitteln sein, denn hier profitieren meistens leider in erster Linie die Hersteller. Ohne ganz­heitlichen Ansatz geht es nicht. Solange man lang­fristige schlechte Ernährungs­gewohnheiten nicht abstellt, wird auch kein Wunder­mittel helfen.


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Quellen:
[1] Y. Zhang et al., Cherry consumption and decreased risk of recurrent gout attacks, Arthritis & Rheumatism 64:12 (2012), 4004–4011
[2] J. Fleschhut, Untersuchungen zum Metabolismus, zur Bioverfügbarkeit und zur antioxidativen Wirkung von Anthocyanen, Dissertation (2004), Tabellen 1.2 und 1.3., http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:swb:90-26403
[3] M. Matout et al., A case of acute kidney injury secondary to black cherry concentrate in a patient with chronic kidney disease secondary to type 2 diabetes mellitus, CEN Case Reports 8 (2019), 212–215
[4] Pei-En Chen et al., Effectiveness of Cherries in Reducing Uric Acid and Gout: A Systematic Review, Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine (2019), 1–7
[5] https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/f­aq/projekt-klartext-nem/­sauerkirsche-zur-harnsaeuresenkung-33117 (abgerufen 09/2020)
[6] https://www.klartext-nahrungsergaenzung.de/wissen/projekt-klartext-nem/fakerezensionen-in-onlineshops-nahrungsergaenzungen-sind-betroffen-51329
[7] https://www.verbraucherzentrale.de/­wissen/­lebensmittel/­nahrungsergaenzungsmittel/­antioxidantien-helfer-gegen-freie-radikale-10575 (abgerufen 09/2020)