Verbessert Trauben­zucker die Absorption von Fructose im Darm?

Man findet diesen Tipp auf vielen Web­seiten: Isst man etwas Trauben­zucker zu einer Portion Obst, dann wird der darin enthaltene Frucht­zucker besser vertragen. Mit einem Täfelchen Trauben­zucker geht man angeblich allen Verdauungs­beschwerden aus dem Weg. Doch stimmt das überhaupt? Die Annahme, dass man mit Trauben­zucker die Absorption von Frucht­zucker verbessern kann, macht auf dem Papier Sinn, weil man damit das Fructose-Glucose-Verhältnis zugunsten von Glucose verschiebt. Wir erklären, warum das in der Praxis aber leider nicht zuverlässig funktioniert.



Glucose kann die Ab­sorption von Fructose im Dünn­darm verbessern – theoretisch


Zahlreiche Studien bestätigen, dass die gleich­zeitige Einnahme von Glucose zu einer besseren Absorption von Fructose führt [1]. Reiner Frucht­zucker wird im Dünn­darm nur sehr langsam resorbiert und kann daher in hohen Anteilen den Dick­darm erreichen, wo er von den Mikro­organismen verstoff­wechselt wird. Bei einer Zucker­lösung, die aus gleichen Teilen Fructose und Glucose besteht, kann die Fructose wesentlich effizienter durch die Darmwand geschleust werden.

Allen Studien ist allerdings gemein, dass mit reinen Zucker­lösungen gearbeitet wird, die die Teil­nehmer auf nüchternen Magen trinken. Diese Bedingungen sind notwendig, um eine gute Vergleichbar­keit zu gewähr­leisten – allerdings haben sie mit der Verdauung von all­täglichen Mahl­zeiten nur wenig zu tun.


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Was geschieht bei der Verdauung fructose­haltiger Lebensmittel?


Wir schauen uns deswegen den Verdauungs­prozess am Beispiel eines Apfels genauer an. Nach dem Verzehr durchläuft er verschiedene Stationen in unserem Verdauungs­trakt, um möglichst alle darin enthaltenen Nähr­stoffe herauszulösen. Im Mund wird er zerkleinert und mit Speichel und Enzymen vermischt, die Kohlen­hydrate spalten können. Durch die jetzt stark vergrößerte Ober­fläche können später die Verdauungs­enzyme leichter an die verwertbaren Bestandteile herankommen. Im Magen wird der grob zerkleinerte Apfel durch die Magen­säure in einen feinen Brei verwandelt und mit Magen­säften versetzt, die weitere Verdauungs­enzyme enthalten.

Wenn die Stücke des Apfels ausreichend zersetzt wurden, passieren sie den Magen­pförtner und gelangen in den Dünn­darm, wo der Nahrungs­brei mit Verdauungs­säften vermengt wird, die Proteine und Fette aufspalten. Während der Nahrungs­brei langsam durch den Dünn­darm wandert, werden nach und nach alle zugänglichen Nähr­stoffe über die Darm­schleimhaut aufgenommen und in den Blut­kreislauf eingeschleust. In der Darm­schleimhaut gibt es weitere Enzyme, die unter anderem auch Doppel­zucker in ihre Einzel­bestandteile Glucose, Galactose oder Fructose zerlegen, die dann absorbiert werden können (lesen Sie hierzu am besten auch unseren Blog-Artikel “Kleine Zuckerkunde”).


Lebensmittel werden unterschiedlich schnell verdaut


Je nachdem, wie schwer ein Lebens­mittel verdaubar ist, durchläuft es den Verdauungs­trakt mit unter­schiedlicher Geschwindig­keit. Fettige und protein­haltige Lebens­mittel bleiben zum Beispiel deutlich länger im Magen als ein leicht verdauliches Stück Weißbrot. Zucker­haltige Getränke passieren den Magen vergleichs­weise schnell und die darin enthaltenen Zucker werden im Darm danach sehr rasch absorbiert. Ein hoher Ballaststoff­anteil wiederum sorgt dafür, dass der Nahrungs­brei länger im Magen verweilt und die enthaltenen Kohlen­hydrate im Darm relativ gleichmäßig über einen längeren Zeitraum aus dem Nahrungs­brei heraus­gelöst werden. Der Magen­pförtner sorgt permanent dafür, dass ausreichend zersetzte kleine Nahrungs­bruchstücke weiter in den Dünn­darm geschleust werden [2].


Glykämischer Index von Apfel und Trauben­zucker im Vergleich


Ein Wert, mit dem man abbilden kann, wie schnell eine definierte Menge an Kohlen­hydraten nach dem Verzehr einer Mahlzeit den Blutzucker­spiegel ansteigen lässt, ist der glykämische Index. Ein hoher Wert signalisiert einen raschen Anstieg.

LebensmittelGlykämischer Index
Traubenzucker100
Apfel38
Tabelle 1: Äpfel haben einen deutlich geringeren glykämischen Index als Trauben­zucker [3].

Bei der Bestimmung des glykämischen Index von Lebens­mitteln dient Traubenzucker mit dem Wert 100 als Referenz­wert, da der leicht verdauliche Einfach­zucker sofort ins Blut geht. Schon beim Kauen auf einem Täfelchen Trauben­zucker wird ein Teil der Glucose durch die Mund­schleimhaut absorbiert. Weil er keine Ballast­stoffe enthält, passiert der Traubenzucker den Magen in wenigen Minuten und wird danach im Dünn­darm bereits nach kürzester Zeit vollständig absorbiert. Er kommt im Dünn­darm, der etwa 8 m lang ist, nicht weiter als 1 m, bevor er vollständig durch die Darm­schleimhaut absorbiert wird [4].

Der Apfel ist zwar ebenfalls leicht verdaulich, weil er kaum Fette und Proteine enthält, allerdings wird er über einen Zeitraum von 2–3 Stunden nach und nach vom Magen in den Dünndarm weiter­geschleust [5]. Solange die Zucker im Apfel in einer komplexen Struktur aus Ballast­stoffen eingebunden sind, bewegen sie sich zusammen durch den Verdauungs­trakt und werden im Vergleich zu reiner Glucose langsam frei­gesetzt [6]. Die Fructose im Apfel ist auch nach der voll­ständigen Passage durch den Dünndarm nicht vollständig absorbiert, sodass eine gewisse Menge in den Dick­darm gelangt. Wenn große Mengen an unvoll­ständig absorbiertem Frucht­zucker in den Dick­darm gelangen, kann es zu Verdauungs­beschwerden kommen.


Glykaemischer-Index-Apfel
Abbildung 1: Glucose geht deutlich schneller ins Blut über als die Zucker in einem Apfel. Um unterstützend bei der Absorption von Fruchtzucker zu helfen, müssten sich die beiden Kurven viel stärker überschneiden.


Fazit: Gleichzeitige Einnahme von Traubenzucker bei Fructose­intoleranz nicht pauschal wirkungsvoll


Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die gleich­zeitige Einnahme von reinem Trauben­zucker mit einer fructose­reichen Speise keinesfalls bedeutet, dass dieser auch zur entscheidenden Zeit – bei der Absorption von Fructose in der Dünndarm­schleimhaut – am gleichen Ort ist. Tatsächlich ist es wohl in vielen Fällen so, dass die leicht verdauliche Glucose bereits vollständig absorbiert wurde und die Aufnahme von Fructose aus anderen Lebens­mitteln gar nicht oder nur minimal unter­stützen kann. Nicht umsonst bewerben die Hersteller ihre Traubenzucker­täfelchen mit dem Slogan "Geht sofort ins Blut". Eine höhere Traubenzucker­menge ändert an diesem Umstand auch nur wenig.

Selbst bei einer Zucker­lösung, die zu gleichen Teilen aus Glucose und Fructose besteht, können bei Menschen mit funktionellen Darm­erkrankungen noch Verdauungs­beschwerden auftreten [7], die umso stärker ausfallen, je ungünstiger die Glucose im Verhältnis zu Fructose dosiert ist [8]. Es ist praktisch kaum möglich, reinen Trauben­zucker zeitlich passend zu dosieren, weil er so schnell verdaut wird. Zudem hat der Trauben­zucker keinen Einfluss auf die Absorption anderer schlecht verdaulicher Kohlen­hydrate bzw. Zucker­alkohole, z. B. von Lactose, Fruktanen oder Sorbit [9].

Es ist deswegen ziel­führender, bei der Planung seiner Mahl­zeiten darauf zu achten, dass das Verhältnis von Trauben­zucker und Frucht­zucker aus­gewogen ist und gleich­zeitig keine anderen problematischen Bestand­teile (z. B. Sorbit) enthält. Trauben­zucker­pulver kann in gewissem Maße bei der Verdauung von Frucht­zucker helfen, ist aber wohl leider kein Allheil­mittel, um Verdauungs­beschwerden aus dem Weg zu gehen.


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Quellen:
[1] R. Gitzelmann et al., Essential fructosuria, hereditary fructose intolerance, and fructose-1,6-diphosphatase deficiency, The metabolic basis of inherited disease, McGraw-Hill, New York (1983), 118–140
[2] F. Kong et al., Disintegration of Solid Foods in Human Stomach, Journal of Food Science 73:5 (2008), 67–80
[3] K. Foster-Powell et al., Internationaltable of glycemic index and glycemic load values, The American journal of clinical nutrition Vol. 76:1 (2002), 5–56
[4] M. Ledochowski, Klinische Ernährungsmedizin, Springer-Verlag, 2010
[5] F. Heritage, Composition and Facts about Foods and Their Relationship to the Human Body, Health Research Books, 1971
[6] K. Englyst et al., Carbohydrate bioavailability, British Journal of Nutrition Vol. 94:1 (2005), 1–11
[7] C. Tuck et al., Adding glucose to fructose reduces breath hydrogen but not symptoms in fructose malabsorbers with a functional bowel disorder, Journal of Nutrition & Intermediary Metabolism Vol. 4 (2016), p.28
[8] C. Kneepkens et al., Incomplete intestinal absorption of fructose, Archives of Disease in Childhood 59 (1984), 735–738
[9] L. Beaugerie et al., Glucose Does Not Facilitate the Absorption of Sorbitol Perfused In Situ inthe Human Small Intestine, The Journal of Nutrition Vol. 127:2 (1997), 341–344