Mögliche Ursachen für Reizdarm
12.11.18Histamin Fructose & Co.

Reizdarm ist eine chronische Erkrankung des Darmes, die zu immer wiederkehrenden Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden führt. In der westlichen Welt sind schätzungsweise 10 bis 20 % der Bevölkerung betroffen. Lange Zeit war die Diagnose von Reizdarm eine Art von Ausschlussdiagnose, sie wurde gestellt, wenn keine anderen Erkrankungen des Verdauungstraktes festgestellt werden konnten. Es wurden bestimmte Kriterien aufgestellt, um verschiedenen Subtypen voneinander abzugrenzen: Ein Teil der Betroffenen leidet an Durchfall, bei anderen kommt es hingegen zu Verstopfung – auch gemischte Beschwerden sind möglich, bei denen sich Durchfall und Verstopfung abwechseln (siehe Abbildung 1).

▲ Abbildung 1: Unterscheidung verschiedener Reizdarmsubtypen.
Mögliche Ursachen für das Reizdarmsyndrom
Die genaue Ursache für Reizdarm liegt noch weitestgehend im Dunklen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sich hinter dieser Diagnose eine Kombination von verschiedenen Erkrankungen verbergen kann. In der Regel kann man bei Reizdarmpatienten keine offensichtlichen Entzündungen oder Verletzungen des Verdauungstraktes finden, deswegen ging man lange Zeit von einer rein psychischen Erkrankung aus. Dieser Standpunkt wandelt sich aber immer mehr – sowohl organische Ursachen als auch psychische Ursachen spielen eine Rolle:
Bakterielle Fehlbesiedlung des Darms
Unser Darm ist von einer unglaublichen Menge an Mikroorganismen besiedelt, die zusammen mit dem Menschen eine nützliche Lebensgemeinschaft bilden. Durch die Gabe von Antibiotika, Infektionen, Konservierungsstoffe, Umweltgifte, sterile Lebensbedingungen oder ungesunde Ernährung kann die Zusammensetzung des Mikrobioms empfindlich gestört werden. Einer geschwächten Darmflora kommt bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms eine entscheidende Rolle zu. So kann z. B. eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms dazu führen, dass bestimmte Kohlenhydrate bereits im Dünndarm fermentiert werden, der eigentlich gar nicht dafür vorgesehen ist. Dadurch kann es zu heftigen Nebenwirkungen, z. B. Blähungen oder Durchfällen kommen. Nur eine gesunde Darmflora bietet optimalen Schutz und verhindert, dass der Darm durchlässig für unerwünschte Stoffe wird.
Gesteigerte Empfindlichkeit des Darms auf Dehnungsreize
Reizdarmpatienten reagieren häufig mit einer gesteigerten Empfindlichkeit auf Dehnungsreize im Darm. Der Dünndarm reagiert dabei generell empfindlicher. Durch eine Fehlbesiedlung des Dünndarms kann es dort zu einer bakteriellen Fermentierung von unverdauten Kohlenhydraten kommen. Die dabei entstehenden Verdauungsgase dehnen den Darm, was für die Betroffenen äußerst unangenehm ist. Im Dickdarm entstehen Dehnungsreize ebenfalls durch Verdauungsgase, aber hier ist v. a. die unvollständige Entwässerung des Stuhls problematisch. Das unverhältnismäßig hohe Volumen erzeugt ein unangenehmes Gefühl bei den Betroffenen, das erst nach der Darmentleerung abklingt.
Störungen in der Beweglichkeit des Darms (Darmmotilität)
Der Speisebrei wird im Darm durch Muskelkontraktionen weitergeleitet. Abhängig von der Zusammensetzung wird die Nahrung unterschiedlich schnell durch den Darm geschleust. Bei Reizdarm ist die Darmmotilität häufig gestört. Das führt dazu, dass der Speisebrei zu schnell oder zu langsam weitertransportiert wird. Eine verminderte Peristaltik führt unter anderem zu einem sichtbar aufgeblähten Bauch, da Gase nicht richtig abtransportiert werden. Trotz der verlangsamten Darmbewegung kann es vorkommen, dass der Stuhl nicht richtig eingedickt wird und sowohl Verstopfung als auch Durchfälle auftreten. Bei einer erhöhten Darmmotilität können die Verdauungsenzyme u. U. nicht lange genug einwirken. Unverdaute Fette und nicht resorbierte Gallensäure können dann sog. Fettstühle und Durchfälle hervorrufen.
Entzündungen in der Darmschleimhaut
Als Spätfolge von Infektionen mit bestimmten krankheitsauslösenden Darmkeimen kann es zum sog. postinfektiösen Reizdarmsyndrom kommen. Betroffene leiden außerdem häufig an Depressionen oder anderen psychischen Folgen. Auslöser für die Symptome sind wahrscheinlich unterschwellige entzündliche Reaktionen in der Darmschleimhaut.
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Erhöhte Anzahl von Mastzellen in der Darmschleimhaut
Neuen Befunden zufolge weisen bis zu 25 % der Reizdarmpatienten in der Darmschleimhaut eine erhöhte Anzahl von Mastzellen und anderen an der Immunabwehr beteiligten Zellen auf. Da diese häufig in der Nähe von Nervenenden sitzen, kann die Aktivierung dieser Zellen für die Betroffenen höchst unangenehme Folgen haben.
Darm-Hirn-Achse
Ein ganz anderer Aspekt ist die Verbindung zwischen dem Darm und dem Gehirn. Aus Experimenten weiß man, dass sich der Darm auf die Signalverarbeitung im Gehirn auswirken kann, diese Verknüpfung gilt jedoch auch in umgekehrter Richtung. Psychischer Stress kann die Freisetzung von Entzündungsmediatoren bewirken, die die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut erhöhen. Dadurch dann eine wahre Kaskade an Nebenwirkungen ausgelöst werden, weil Fremdsubstanzen aus dem Darm in den Blutkreislauf gelangen können.
Reizdarmpatienten leiden überdurchschnittlich oft an Depressionen. Es konnte aber in Studien gezeigt werden, dass beim überwiegenden Teil der Betroffenen zuerst eine Magen-Darm-Erkrankung besteht und sich erst als Folge daraus eine psychische Erkrankung ausbildet. Dennoch ist auch der umgekehrte Weg möglich und der Reizdarm kann als Folge eines persönlichen Schicksalschlages oder Traumas entstehen.
Rolle von Histamin, FODMAPs und anderen Faktoren
Viele Betroffene assoziieren das Auftreten ihrer Symptome mit bestimmten Lebensmitteln. Allerdings war die Rolle, die die Ernährung spielt, lange Zeit unklar. Erst neuere Forschungsergebnisse haben wieder Schwung in die Diskussion gebracht: Eine Gruppe von australischen Wissenschaftlern hatte entdeckt, dass kurzkettige und schlecht absorbierbare Kohlenhydrate und Zuckeralkohole (sog. FODMAPs) bei vielen Betroffenen Reizdarmbeschwerden auslösen. In der Tat leiden viele Reizdarmpatienten an einer Lactose- bzw. Fructoseintoleranz, allerdings können die Beschwerden auch unabhängig von dieser Diagnose auftreten. Die FODMAP-reduzierte Ernährung ist ein Ansatz, der über die Vermeidung von Fructose und Lactose hinausgeht und momentan wahrscheinlich die vielversprechendste Strategie, um Reizdarmbeschwerden in den Griff zu bekommen.
Doch auch andere Ernährungsfaktoren spielen eine Rolle und erfordern deswegen eine individuell zugeschnittene Ernährungsstrategie. In der folgenden Abbildung finden Sie eine Übersicht, welche Ernährungsfaktoren aktuell als Auslöser von Reizdarmbeschwerden diskutiert werden.

▲ Abbildung 2: Ernährung als möglicher Auslöser von Reizdarmbeschwerden.
Bei bis zu 25 % der Reizdarmpatienten funktioniert der Histaminabbau nur eingeschränkt, weswegen eine hohe Aufnahme an Histamin und anderen biogenen Aminen problematisch sein kann. Echte Lebensmittelallergien sind hingegen eher selten, nur etwa 2 % der Reizdarmpatienten leiden an Lebensmittelallergien. Die Rolle von Salicylaten ist hingegen noch weitestgehend unklar.
Da sich hinter Reizdarm kein einheitliches Krankheitsbild verbirgt, weichen auch die Anforderungen an die Ernährung voneinander ab. Bei durchfalldominantem Reizdarmsyndrom ist es empfehlenswert, kleinere Mahlzeiten zu sich zu nehmen und auf sehr fettreiche Mahlzeiten bzw. frittierte Lebensmittel zu verzichten, da unverdaute Fette und nicht resorbierte Gallensäure starke Beschwerden auslösen können. Alkohol wird v. a. bei durchfalldominantem Reizdarm sehr schlecht vertragen und sollte deswegen von Betroffenen möglichst gemieden werden.

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Quellen:
- A. Ford et al., Irritable Bowel Syndrome, N Engl J Med 376 (2017), 2566–2578
- M. van Tilburg et al., Which psychological factors exacerbate irritable bowel syndrome? Development of a comprehensive model, Journal of Psychosomatic Research 74 (2013), 486–492
- N. Principi et al., Gut dysbiosis and irritable bowel syndrome: The potential role of probiotics, Journal of Infection 76 (2018), 111–120
- D. Schumann et al., Low fermentable, oligo-, di-, mono-saccharides and polyol diet in the treatment of irritable bowel syndrome: A systematic review and meta-analysis, Nutrition 45 (2018), 24–31
- O. Leiß, Fiber, Food Intolerances, FODMAPs, Gluten und funktionelle Darmerkrankungen – Update 2014, Z Gastroenterol 52 (2014), 1277–1298
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