Zitronen­säure und Histamin­intoleranz

Liest man sich Ernährungs­empfehlungen im Internet zum Thema Histamin­intoleranz durch, findet man auf fast jeder Verbots­liste die Zitronen­säure. Die Begründungen, warum sie nicht verträglich ist, fallen sehr unter­schiedlich aus. Allein gemeinsam ist, dass nicht erkennbar ist, woher die Information stammt. Da Zitronen­­säure aber so häufig in unserem Alltag vorkommt, lohnt sich ein genauer Blick auf den Stand der Forschung.

zitronensaeure-histamin

Was ist Zitronen­säure und wo wird sie verwendet?


Zitronen­säure kommt natürlicher­weise in vielen Obst- und Gemüses­orten vor, in besonders hoher Konzentration findet man sie, wie der Name erahnen lässt, in Zitrus­früchten. Zitronen­säure (E 330) ist heute ein weit verbreiteter Zusatz­stoff in vielen Lebens­mitteln, Getränken oder auch Medikamenten. Sie verleiht diesen Produkten einen angenehmen, säuer­lichen Geschmack und hat darüber hinaus auch konservierende Eigen­schaften.

Ursprünglich wurde Zitronen­säure tatsächlich aus Zitronen gewonnen, aufgrund der hohen Kosten wurde aber bereits zu Beginn des 19. Jahr­hunderts ein Verfahren entwickelt, um sie mikro­biologisch zu synthetisieren. Sie wird in einem Fermentations­prozess mit Hilfe von Aspergillus niger (einem Schimmel­pilz) aus Glucose hergestellt und anschließend in einem mehr­stufigen Prozess aufwändig gereinigt.

Chemisch betrachtet gibt es keinen Unter­schied zwischen natür­licher und industriell herge­stellter Zitronen­säure. Wenn Sie aber in der Zutaten­liste Zitronen­säure lesen, können Sie davon ausgehen, dass es sich dabei um das industriell hergestellte Produkt handelt. Nicht zu verwechseln ist Zitronen­säure mit Zitronen­saft­konzentrat, das aus Zitronen gewonnen wird (siehe Tabelle 1).

ZutatHergestellt aus
ZitronensaftkonzentratZitronen
Zitronensäure (E 330)Aspergillus niger
Citrate (E 331–333)Aspergillus niger
Tabelle 1: Übersicht über verschiedene zitronen­säurehaltige Zutaten.


Was findet man im Internet zu Zitronensäure?


Auf vielen Seiten im Internet findet man die Aussage, dass Zitronen­säure ungeeignet wäre bei Histamin­intoleranz. Mal wird darüber spekuliert, dass sie durch den Fermentations­prozess viel Histamin enthält. An anderer Stelle liest man, dass Obst und Gemüse abhängig vom Zitronen­säure­gehalt mal besser, mal schlechter vertragen wird. Eine andere Theorie besagt, dass Zitronen­säure in Zitrus­früchten vorkommt, die als Histamin­liberator gelten – da Zitronensäure nicht aus Zitronen gewonnen wird, ist das aber ohnehin Unsinn.

Viele Autoren scheinen selbst nicht so genau zu wissen, was das Problem sein könnte. Bei nicht wenigen Seiten bekommt man leider auch noch den Eindruck, dass hier einfach nur wilde Spekulationen verbreitet werden und selbst grund­legende biochemische Prozesse nicht verstanden werden. Quellen­angaben findet man leider grund­sätzlich nicht.


Wird bei der Zitronen­säure­herstellung Histamin gebildet?


Diesen Punkt kann man klar mit nein beantworten. Der Herstellung basiert im wesentlichen auf dem Zitronen­säurezyklus mit Hilfe von Mikro­organismen bei dem (trotz Fermentation) kein Histamin gebildet wird. Das Endprodukt Zitronen­säure wird nach der Herstellung aufgereinigt und enthält keine relevanten Mengen an biogenen Aminen.


Woher stammt die Information, dass Zitronensäure unverträglich sei?


Es gibt nur wenige Artikel, die sich mit diesem Thema beschäftigen, der erste stammt aus dem Jahr 1979. Wir nehmen aber an, dass sich die These haupt­sächlich auf einen Artikel von 2018 stützt. In diesem werden Fälle von vier Betroffenen dokumentiert, die nach dem Verzehr bestimmter Lebens­mittel an unerklärlichen Symptomen leiden. Die beschriebenen Symptome betreffen verschiedene Körper­regionen und manifestieren sich beispiels­weise in Form von Gelenk- und Muskel­schmerzen, Atemnot, Bauch­krämpfen oder Schwäche­zuständen.

Als mögliche Ursache der Symptome wird in dem Artikel künstlich hergestellte Zitronen­säure genannt. Natürliche Zitronen­säure löst bei den Betroffenen hingegen keine Beschwerden aus.

Auf Basis dieser Einzelfall­berichte wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Beschwerden möglicher­weise auf produktions­bedingte Rückstände des Produktions­organismus Aspergillus niger in künstlich hergestellter Zitronen­säure zurückzu­führen sind. Diese Fragmente könnten im Körper niederschwellige Entzündungs­prozesse auslösen und so möglicher­weise im Laufe der Zeit zu einer Sensibilisierung führen.


Was spricht für diese Hypothese?


Da A. niger schon seit über 100 Jahren in der mikro­biologischen Produktion eingesetzt wird, wurde der Organismus nie nach heutigen Kriterien auf Sicherheit überprüft, sondern wurde allgemein als sicher eingestuft (GRAS-Einstufung), weil keine auffälligen Neben­wirkungen beobachtet werden konnten.

Prinzipiell verfängt die Hypothese, dass Rück­stände aus dem Produktions­prozess in irgendeiner Form eine schädliche Wirkung entfachen könnten. Manche Schimmel­pilze sind für den Menschen gefährlich. Sie produzieren gefährliche Gifte (Mykotoxine) und können Krank­heiten, Allergien oder Infektionen auslösen. Auch in den eingesetzten Produktions­organismen für Zitronen­säure konnte in Gen­analysen nachgewiesen werden, dass sie Mykotoxine produzieren können. Einige sind so gefährlich, dass sie in Lebens­mittel­kontrollen überwacht werden.

Es konnte zudem nachge­wiesen werden, dass durch Hitze abgetötete Schimmel­pilze Entzündungs­reaktionen auslösen können – sogar noch stärker als es lebendige Zellen tun. Das liegt daran, dass durch die Zerstörung die Toxine in der Zelle freigesetzt werden und diese schneller vom Immun­system erkannt werden. Etwas ähnliches könnte auch durch Verun­reinigungen bei künstlich hergestellter Zitronen­säure geschehen.

Aber: Das wurde so nur an abgetöteten Schimmel­pilzen anderer Stämme nachge­wiesen und nicht mit Produktions­rückständen in aufgereinigter Zitronen­säure.


Was spricht gegen diese Hypothese?


Bevor man voreilige Schlüsse zieht, sollte man sich auch damit befassen, ob denn gute Gründe gegen die Hypothese sprechen. Es wurde in dem Artikel nie eindeutig belegt, dass Schimmel­pilz­rückstände tatsächlich der auslösende Faktor waren. Statt­dessen wurden die Zutaten­listen der verdächtigen Lebens­mittel, darunter beispiels­weise Energy Drinks oder Kartoffel­chips mit Ranch-Geschmack auf gemeinsame Nenner überprüft, der in Zitronen­säure gefunden wurde. Es handelt sich bei den Verdachts­fällen jedoch um industriell hoch­verarbeitete Lebens­mittel mit einer hohen Anzahl an schwer nachzuvoll­ziehenden Inhalts­stoffen, z. B. nicht näher spezifizierte Aromen.

Der Herstellungs­prozess mit Schimmel­pilzen ist gut erforscht und der Produktions­prozess wurde mittler­weile mehrere Jahr­zehnte darauf optimiert, möglichst wenige toxische Neben­produkte zu erzeugen. Die Zitronen­säure unterläuft anschließend einem aufwändigen mehr­stufigen Aufreinigungs­prozess, der Produktions­rückstände sehr effizient entfernt. In Zitronen­säure findet man also nicht ganze Schimmel­pilz­zellen oder gar vermehrungs­fähige Sporen, sondern höchstens kleine Fragmente von Proteinen oder anderen Zell­bestandteilen.

Für Mykotoxine gibt es strenge Grenz­­werte, zusätzlich zu den Herstellern der Zitronen­säure führen auch die Lebens­mittel­konzerne, die diese verwenden, nochmal Qualitäts­kontrollen durch. Die Anforderungen für die Reinheit von Zitronen­säure im pharmazeutischen Bereich liegen sogar noch einmal höher.

Unabhängig davon, würde eine gesundheits­schädliche Wirkung nicht nur auf etwaige minimale Schimmel­pilz­rückstände in Zitronen­säure beschränkt bleiben. Auch Lebens­mittel auf denen Schimmel­pilze oder ihre Sporen anhaften, wären dann problematisch. Und diese finden sich praktisch überall: auf Obst, Gemüse, Getreide, Gewürzen, Trocken­früchten, Nüssen, Schweine­fleisch und Geflügel, Milch­produkten, Kaffee und vielen weiteren Lebens­mitteln.


Was bleibt als Fazit?


Auffällig ist, dass es zur Unverträg­­lichkeit von Zitronen­­­säure insgesamt nur sehr wenige Veröffent­­lichungen gibt. Falls es ein groß­flächiges Problem geben sollte, würde man eigentlich deutlich mehr Forschung in diese Richtung erwarten. Es gibt aber glaub­würdig dokumentierte Einzel­fälle und es bleiben zwei mögliche Erklärungs­versuche zu den Ursachen.

Hypothese 1: Zitronen­säureunvert­räglichkeit ohne Schimmel­pilzallergie
Eine Zitronen­säureunver­träglichkeit ohne Beteiligung von Schimmel­pilz­allergien wurde bereits 1979 in der Literatur beschrieben, allerdings konnte damals kein zugrunde liegender Mechanismus identifiziert werden. In neueren Studien zur Verträg­lichkeit von Zusatz­stoffen konnte auch eine Zitronensäure­unverträglich­keit beobachtet werden, allerdings ist diese sehr selten.

Hinter dieser Hypothese stehen also viele Frage­zeichen.

Hypothese 2: Zitronen­säureunver­träglichkeit mit Schimmel­pilz­allergie
Zum Thema Erkrankungen, die durch Schimmel­pilze ausge­löst werden, gibt es hingegen sehr umfang­reiche Forschung und es ist unbestreit­barer Fakt, dass Schimmel­pilze und ihre Sporen bei starker Exposition schwere Erkrankungen auslösen können, insbesondere bei Menschen mit geschwächtem Immun­system. Es ist auch belegt, dass Schimmel­pilz­allergiker auf Produktions­rück­stände in Zitronen­säure reagieren können.

Aktuell wird sogar diskutiert, ob Schimmel­pilze eine Rolle bei der Chemikalien­sensitivität spielen könnten, bei der verschiedene Chemikalien, Lebens­mittel oder Medikamente Unverträglich­keits­symptome auslösen. Eine aktuelle Studie mit über 10.000 Betroffenen unter­suchte mögliche Auslöser. Schimmel­exposition, etwa bei Renovierungen, könnte 15 % der Fälle erklären – die restlichen 85 % werden hingegen anderen Faktoren zugeschrieben, beispiels­weise Pestiziden oder toxischen Verbrennungs­produkten: in der Haupt­sache also Produkte aus der petro­chemischen Industrie.


Wie kann man die Erkenntnisse auf Histamin­intoleranz übertragen?


Ein Zusammenhang mit einer Histamin­unverträglichkeit wurde überhaupt nicht untersucht. Ein pauschales Verbot von Zitronen­säure bei diesem Krankheits­bild lässt sich aus der äußerst unklaren Daten­lage derzeit nicht ableiten.

Es bleibt aber die Möglichkeit, dass einige (wenige) Betroffene industriell hergestellte Zitronen­säure nicht vertragen, entweder aufgrund von Schimmel­pilz­rückständen oder anderen bisher nicht bekannten Ursachen. Treten reproduzierbar Reaktionen nach dem Verzehr von Lebens­mitteln mit Zitronen­säure auf, sollte man dies unbedingt medizinisch abklären lassen – denn wenn in der Tat Schimmel­pilze eine Rolle spielen sollten, benötigt es ein gezieltes weiteres Vorgehen.

Die generelle Empfehlung, bei Histamin­intoleranz auf Zitronen­säure zu verzichten, sehen wir aber in Anbetracht der Situation und der weit­reichenden Folgen für die Ernährung als aktuell nicht gerecht­fertigt an! Man sollte künstlich hergestellte Zitronen­säure aber als eine Zutat sehen, die im Verdachts­fall auf Verträglichkeit geprüft werden sollte.


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Quellen:
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