Einige interessante Fakten über Probiotika und Unverträglichkeiten
08.08.22Histamin Fructose & Co.
Wofür braucht man Probiotika?
Unser Darmtrakt ist mit etwa 39 Billionen Mikroorganismen besiedelt, die uns dabei helfen unverdauliche Nahrungsbestandteile, z. B. Ballaststoffe, zu verwerten. Der Großteil der Darmflora sitzt im Dickdarm. Viele Milchsäurebakterien und Bifidobakterien haben im Laufe der Zeit ihre Stoffwechselprozesse eng mit unseren verzahnt und gehen mit uns eine Symbiose ein, von der beide Seiten profitieren. Sie bilden Vitamine und kurzkettige Fettsäuren, die für viele Vorgänge im Körper essentiell sind.
Die Zusammensetzung der Darmflora kann durch verschiedenste Faktoren beeinflusst werden, z. B. der Art der Geburt und ob man gestillt wurde, wie vielen Keimen man in der Kindheit ausgesetzt war, der Gabe von Antibiotika, Infektionen bis hin zur Ernährung. Der Anteil an nützlichen Darmbakterien ist durch den westlichen Lebensstil leider in vielen Fällen deutlich herabgesetzt und dieser Umstand ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Entstehung unzähliger Erkrankungen beteiligt. Durch Probiotika führt man ausgewählte, nützliche Keime zu, in der Hoffnung, dass sich dadurch das Gleichgewicht in der Darmflora wieder normalisiert.
Enthalten Probiotika Lactose?
Probiotika enthalten neben vermehrungsfähigen Bakterienkulturen in der Regel auch ein Wachstumssubstrat, das möglichst selektiv nur das Wachstum der enthaltenen Bakterien fördert. Prinzipiell wäre Lactose hierfür zwar geeignet, allerdings würde sie im Dünndarm bereits weitestgehend absorbiert werden. Sie kann also nicht in ausreichendem Maße den Dickdarm erreichen, wo die Bakterien sich ansiedeln sollen. Lactose ist deswegen kein geeignetes Substrat für Probiotika. Stattdessen setzt man auf Ballaststoffe, die nicht im Dünndarm verwertet werden können, z. B. Inulin oder Oligofructose.
Ich vertrage Probiotika überhaupt nicht! Warum?
Es gibt mehrere Gründe, warum man Probiotika nicht vertragen kann. Häufig ist das enthaltene Wachstumssubstrat schuld. Inulin und Oligofructose sind zwar ein perfekter Nährgrund für nützliche Darmbakterien (z. B. Laktobazillen und Bifidobakterien). Allerdings geschieht die bakterielle Fermentation unter erheblicher Gasentwicklung, wodurch es bei einigen Betroffenen zu unangenehmen Verdauungsbeschwerden kommen kann. Grund zur Sorge besteht allerdings in der Regel nicht: Bei der Verstoffwechslung produzieren die Bakterien z. B. kurzkettige Fettsäuren, die ein wichtiger Nährstoff für die Darmschleimhaut sind.
Ein weiterer Grund ist eine erhebliche Verschiebung im Gleichgewicht der Darmflora (Dysbiose). Führt man von außen probiotische Bakterien hinzu, versuchen diese die Lebensbedingungen im Darm zu ihren Gunsten zu verändern – und gehen dabei auch mitunter sehr radikal vor. Sie produzieren Milchsäure, um das Darmmilieu anzusäuern, und andere antibiotische Stoffe, um andere Keime zu vertreiben. Diese wiederum wollen ihr Territorium in der Darmschleimhaut nicht einfach aufgeben und erwehren sich der Angriffe. Durch diesen Tumult kann natürlich auch der Darm in Mitleidenschaft gezogen werden.
Wann sollte man keine Probiotika einnehmen?
Ein Aspekt, der leider häufig übersehen wird, ist eine Dünndarmfehlbesiedlung. Der Dünndarm ist normalerweise nur sehr spärlich mit Mikroorganismen besiedelt, aber es kann krankheitsbedingt zu einer Überwucherung der Darmflora aus den Dickdarm in den Dünndarm kommen. Nimmt man in diesem Fall Probiotika ein, kann es sein, dass die Bakterien und ihr Wachstumssubstrat die Fehlbesiedlung im Dünndarm verstärken – häufig begleitet von heftigen Verdauungsbeschwerden. Deswegen sollte man Probiotika bevorzugt in Abstimmung mit einem Arzt einnehmen.
Was kann ich tun, um die Verträglichkeit von Probiotika zu verbessern?
Probiotika können zu Beginn der Einnahme leider heftige Verdauungsbeschwerden auslösen. Es empfiehlt sich deswegen, sehr langsam anzufangen und beispielsweise die Kapseln zu öffnen und nur einen Bruchteil des Inhaltes zu verwenden. Danach kann man langsam die Dosis steigern.
Wenn man unangenehmen Blähungen vorbeugen möchte, kann man auch den Inhalt einer Probiotika-Kapsel in ein Glas Wasser leeren und erst nach etwa einer halben Stunde trinken. In dieser Zeit können die Bakterien das Substrat weitestgehend abbauen, während sie sich vermehren. Allerdings wird durch diesen Schritt die Effektivität mit Sicherheit vermindert, weil ohne die Kapsel weniger Bakterien die Magen-Darm-Passage lebend überstehen.
Wie finde ich das perfekte Präparat?
Man hat bei Probiotika in der Regel die Wahl zwischen Präparaten mit einzelnen Bakterienstämmen oder einer Mischung von typischerweise 8–10 verschiedenen Stämmen. Nicht immer sind die Auswahlkriterien hier transparent. Die Wirkung ausgewählter Einzelstämme mit besonders vielversprechenden Eigenschaften ist sehr gut mit klinischen Studien belegt. Bei Mischungen mit sehr vielen Stämmen ist es schwieriger (oder sogar unmöglich) eine Wirkung einem bestimmten Stamm zuzuordnen, deswegen ist hier die Datenlage deutlich schlechter, was aber nicht heißen muss, dass Mischungen schlechter geeignet sind.
Deswegen gibt es hier keine klare Antwort. Es gibt sehr viele interessante probiotische Bakterienarten, wobei viele Eigenschaften aber stammspezifisch sind. Deswegen ist es sinnvoll auf Präparate zu setzen, die gut untersuchte Stämme mit spezifizierten Eigenschaften enthalten. Diese sind bei hochwertigen Probiotika übrigens genau ausgewiesen (siehe Screenshot).
Achtung: Leider ist der Markt für Nahrungsergänzungsmittel nur schwach reguliert und es gibt viele Probiotika mit mangelhafter Qualität. Häufig stimmen die Angaben zur Anzahl oder zur Zusammensetzung auf dem Etikett nicht, oder es gibt sogar Verunreinigungen mit unerwünschten Keimen. Man sollte deswegen unbedingt auf vertrauenswürdige Hersteller setzen, die eigene Qualitätskontrollen durchführen können.
Ist die Wirkung von Probiotika nachhaltig?
Obwohl Milchsäurebakterien in zahlreichen Studien vielversprechende Ergebnisse zeigen, bleibt die Frage offen, ob die positive Wirkung auch wirklich nachhaltig ist. Leider zeigt sich hier, dass der Effekt einige Tage nach Beendigung der Probiotika-Einnahme wieder nachlässt. Die meisten der derzeit als Probiotika eingesetzten Lactobazillen oder Bifidobakterien bilden wohl keine zahlenmäßig bedeutenden Populationen im Darm.
Das bedeutet nicht, dass Probiotika den Gesundheitszustand nicht erheblich verbessern können – allem Anschein ist hierzu eine nachhaltige Besiedlung des Darms gar nicht notwendig. Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass der Effekt in den meisten Fällen nur vorübergehend ist und man ständig neue probiotische Bakterien von außen zuführen muss. Bei Probiotika kann das ein Kostenfaktor sein, der langfristig nicht vernachlässigt werden sollte.
Wahrscheinlich wird es in Zukunft erhebliche Fortschritte in diesem Bereich geben, sobald probiotische Bakterien identifiziert wurden, die den Darm nachhaltig besiedeln. Eine weitere Option könnte die Einnahme von Präbiotika sein, die das Wachstum von Bakterien fördern, die bereits im Darm vorhanden sind. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in diesem Blog-Artikel.
Was ist besser bei Histaminintoleranz: Probiotika oder fermentierte Lebensmittel?
Fermentierte Lebensmittel, z. B. nicht pasteurisiertes Sauerkraut, Kimchi oder Kombucha, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, nachdem sie lange ein absolutes Nischendasein führten. Sie enthalten eine Vielzahl an Bakterien die natürlicherweise in unserer Umwelt vorkommen und wertvoll für unsere Darmflora sind – im Gegensatz zu wenigen Kulturen mit klar definierten Eigenschaften in vielen Supermarktprodukten. Mit fermentierten Lebensmitteln nimmt man nicht nur Bakterien zu sich, sondern auch deren Stoffwechselprodukte. Fermentierte Lebensmittel können einen wertvollen Beitrag zu einer ausgewogenen Darmflora leisten und durch den regelmäßigen Verzehr kann man nachweislich viele Entzündungsmarker im Körper senken.
Die Stoffwechselprodukte sind es aber leider auch, was diese Lebensmittel für Histaminintoleranz häufig problematisch macht. In der wilden Mischung aus Mikroorganismen befinden sich leider auch viele Produzenten von Histamin und anderen biogenen Aminen. Viele fermentierte Lebensmittel enthalten deswegen extrem hohe Mengen an Histamin, was sie trotz aller positiven Eigenschaften zum No-Go für Menschen mit Histaminintoleranz macht. Hier sind in der Regel Probiotika die bessere Wahl.
[Update 28.06.2023]: Wir haben den Artikel um den Abschnitt "Ist die Wirkung von Probiotika nachhaltig?" erweitert.
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Quellen:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Mikrobiom (abgerufen 08/2022)
- M. Hrubisko et al., Histamine Intolerance—The More We Know the Less We Know. A Review, Nutrients 13:2228 (2021), 1–21
- https://gold.jgi.doe.gov/organisms?page=1&asc=Organism.Organism+Name&Study.Relevance.ID_options=or&Organism.Organism+Name=Lactobacillus+casei&count=500
- W. Barcik et al., Immune regulation by histamine and histamine-secreting bacteria, Current Opinion in Immunology 48 (2017), 108–113
- M. Schink et al., Microbial patterns in patients with histamine intolerance, Journal of Physiology and Pharmacology 69:4 (2018), 579–593
- H. Wastyk et al., Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status, Cell 184 (2021), 4137–4153
- T. Chen et al., Microbiological quality and characteristics of probiotic products in China, Journal of the Science of Food and Agriculture 94:1 (2013), 131–138
- D. Mazzantini et al., Spotlight on the Compositional Quality of Probiotic Formulations Marketed Worldwide, Frontiers in Microbiology 12 (2021), 1–16
- S. Fijan, Microorganisms with Claimed Probiotic Properties: An Overview of Recent Literature, Int. J. Environ. Res. Public Health 11 (2014), 4745–4767
- J. Walter, Ecological role of Lactobacilli in the gastrointestinal tract: Implications for fundamental and biomedical research. Appl. Environ. Microbiol. 74 (2008), 4985–4996
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